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Die vergänglichen Wälder von Dhofar

von Quentin Mayerat

Im Süden des Sultanats Oman überrascht die lange Zeit rebellische und noch immer wilde Provinz Dhofar mit ungeahnten Unterwasserschätzen. Jeden Sommer überschwemmt der Monsun die Küsten und ermöglicht so die Bildung eines Tangwaldes, der sich den Lebensraum sechs Monate mit den Korallenriffen teilt. 

Jahrhundertelang transportierten omanische Daus aus witterungsbeständigem Teak Gewürze und Weihrauch vom Morgen-ins Abendland. Um an diese glorreiche maritime Vergangenheit anzuknüpfen, verfolgt das Sultanat seit 2008 eine ambitionierte segelsportliche Entwicklungsstrategie. Mit seinem Regierungsprogramm Oman Sail und den darin vorgeschriebenen zwei wöchentlichen Segelstunden für Kinder ab acht Jahre führt das Land die Jugend an den Segelsport heran. Ausserdem nimmt es an grossen Hochseeregatten teil und richtet zahlreiche internationale Wettkämpfe wie die Sailing Arabia The Tour oder die Extreme Sailing Series aus. Doch während das Jachtsegeln an der Nordküste entlang des Golfs von Oman rasant wächst, bleibt der südliche, den Launen des arabischen Meeres ausgelieferte Zipfel eine weitgehend unbekannte Region, in die sich meist nur Seefahrer und abenteuerhungrige Taucher verirren. Die über 1000 Kilometer von der Hauptstadt Muskat entfernte, von der Welt abgeschottete und oft vernachlässigte Provinz Dhofar war nie gut auf die Zentralmacht zu sprechen. In den 1960er-Jahren lehnten sich die Dhofari gegen den alten Sultan Said Bin Taimur auf und lies-sen sich auf einen Bürgerkrieg ein, der erst zehn Jahre später dank der Intervention Grossbritanniens und Irans beigelegt wurde.

Badende Wüstenschiffe 

Im Oktober fallen seltsame Sommergäste über die Strände von Dhofar her. Keine dickbäuchigen Touristen, die ihre Wampe vor sich herschieben, oder ihren eh schon krebsroten Körper in der Sonne wälzen, um ihre Melanome zu verschönern, sondern Kamele, die über den Sand trampeln und sich den Freuden des Badetourismus hingeben. In langen Kolonnen trotten die Tiere gemächlich über den Strand und lassen sich ihre gepolsterten Sohlen von der Brandung umspülen. Einige besonders wagemutige Exemplare stehen bis zum Bauch im grünen Wasser und geniessen mit halb geschlossenen Lidern die Wohltaten des Meeres. Die Wüstenschiffe würden wohl gern in See stechen. In Dhofar schlägt sogar in den Kamelen ein Rebellenherz. Breitbeinig im warmen Sand stehend, das Fell zerzaust von den letzten Windstössen des Charif, begnügen sich die etwas zartbesaiteteren Trampeltiere damit, das Schauspiel der Wellen aus der Ferne zu betrachten.

Dem Charif entkommen auch Sie nicht. Der Taxichauffeur, der Weihrauchverkäufer, der Fischhändler oder die fussballspielenden Kinder – einer von ihnen wird Ihnen bestimmt vom asiatischen Südwestmonsun oder eben vom Charif berichten, dessen Ausläufer Dhofar streifen. Er prägt das Leben in Dhofar so sicher, wie der Puls in unseren Adern pocht. Ab Juni schieben heftige Südwestwinde die Monsunwolken mit voller Wucht gegen das Küstengebirge. Während der Rest der arabischen Halbinsel im Sommer unter der brütenden Hitze schrumpft wie ein altes Stück Leder, wird Dhofar geduscht. Die Landschaften versinken in fahlen Dunst der Regenschauer, die Bergspitzen stecken in dicken Nebelschwaden und die Wadi treten tosend über die Ufer. Die bislang von der Sonne versengten Täler überziehen sich mit Grün. Schon fast verschwenderisch spriesst zartes Gras aus dem Boden und vollgesaugte Blätter entfalten sich. In dieser Jahreszeit ziehen die heimischen Jabali in ihre Zelte um, damit sie ihre Häuser an Touristen aus Katar, Kuwait, Saudi-Arabien, Jordanien und aus den Vereinigten Arabischen Emiraten untervermieten können. Scharenweise strömen die Besucher aus dem gesamten Mittleren Osten herbei, um etwas von der feuchten Frische zu tanken. Überall übernimmt die Farbe Grün die Macht. Sie findet sich im Gras der Berge, das von Hunderten Kühen mit feuchten Mäulern abgeweidet wird, im Flusswasser, in dem eigenartige Fische ihre Runden drehen, und im schweren, chlorophyllgeschwängerten Blätterwerk der Bäume. Die Region ist eine einzige grüne Explosion aus fetten, fleischigen Pflanzen, die auf der von kargen Felslandschaften geprägten arabischen Halbinsel eigentlich niemand erwarten würde.

Chameaux Dhofa skippers.ch

Algensalat 

Unter der Wasseroberfläche bietet sich das gleiche Bild. In den kleinen blau-grünen Felsbuchten rund um Salalah schütteln die Taucher nach dem Sprung vom Boot lange braune Algen ab, die sich an der Oberfläche zu glänzenden, eingeweideähnlichen Paketen sammeln. Es handelt sich um Seetang, den man sonst eher von den kalten und gemässigten Gewässern Nordamerikas oder Neuseelands kennt. Die Grossalgen bilden in Dhofar riesige Wälder, sogenannte Tang- oder Kelpwälder, und bedecken nach Abklingen des Charif die Korallenriffe. Eine Laune der Natur, denn der in einer Tropenregion bei 17° nördlicher Breite gelegene Süden Omans ist alles andere als ideal für Braunalgen. Dass sie hier trotzdem gedeihen, liegt am Upwelling oder Auftrieb. Wenn die Monsunwinde die obersten Wassermassen verschieben, steigt kaltes, stark mineralhaltiges Wasser aus tiefer liegenden Schichten an die Oberfläche. Durch die so verursachte Nährstoffanreicherung können sich Plankton und Algen wunderbar vermehren. Gleichzeitig sinkt die Wassertemperatur (auf nur 16 °C im August) und der Phosphat- und Nitratgehalt beträgt ein Hundertfaches des Normalwerts. Beste Bedingungen also für die „echten“ Tang-arten wie die Ecklonia radiata, die auf der nördlichen Erdhalbkugel nur in Oman vorkommt, oder Golftange wie Sargassung oligocystum oder Nizamuddinia zanardinii mit ihren dicken braun-grünen Schlingen.

Dhofa skippers.ch croisière

RAS AL-JINZ IST DER ÖSTLICHSTE ORT AUF DER ARABISCHEN HALBINSEL. AUF SEINEN STRÄNDEN LEGEN SUPPENSCHILDKRÖTEN DAS GANZE JAHR ÜBER IHRE EIER AB.

Unterwasserwald 

Die ausladenden, gelb schimmernden Baumkronen der Tangwälder bewegen sich knapp unter der Wasseroberfläche im Rhythmus der Wellen. Sie sind zwar nicht mit den Unterwasserdschungeln Kaliforniens und ihren bis zu 20 Meter langen Algen zu vergleichen, sorgen aber trotzdem für eine unvergessliche Reise ins Grüne. Eine Vielzahl pflanzenfressender Tiere – Suppenschildkröten, Seeigel, Seeohren, Langusten und Crevetten – steigen angelockt von dieser köstlichen Gemüsesuppe aus den Tiefen des Meeres empor und bieten inmitten der die Korallen überwuchernden Vegetation einen erstaunlichen Anblick. Freudig trifft man hier auf alte Bekannte der Korallengärten: Feuerfische, denen ihre extravaganten fächerförmigen Brustflossen irgendwie immer im Weg sind, Spitzkopfkugelfische mit ihrer ewigen Leidensmiene und mit offenem Maul lauernde Muränen, die den Eindruck erwecken, als wären sie zu jeder Schandtat bereit. Sie scheinen sich problemlos mit der Algeninvasion abzufinden, auf jeden Fall besser als die Korallen selbst. Deren Wachstum wird durch das aufsteigende kalte Wasser und die Algen, die ihnen das Licht rauben, den ganzen Sommer über bis ins den Herbst hinein gestoppt. Sie treten gezwungenermassen in eine Art „Sommerschlaf“. In mehreren Studien wurde nachgewiesen, dass diese Eigenschaft die Region zu einem ernstzunehmenden Hindernis bei der Verbreitung von Korallenarten aus dem Roten Meer bis nach Oman macht. In Dhofar wurden bisher nur 52 verschiedene Korallen gezählt, darunter keine einzige Feuerkoralle. Im Roten Meer leben über 250 Arten!

Rhinobatidés. Dhofar. skippers.ch

GROSSER GEIGENROCHEN (RHYNCHOBATUS DJIDDENSIS)

Buntes Treiben 

Wir ziehen weiter zu einem Wrack, dessen Überreste sich wie Puzzleteile über fünfzig Meter verteilen. Leider ist die Sicht nicht besonders gut. Der schattenhafte Umriss einer auf Grund gesunkenen Dau zeichnet sich im Grün ab und beginnt dann, sich langsam vorwärts zu bewegen. Wir trauen unseren Augen nicht, bis wir feststellen, dass es sich um einen Schwarm Beilbauchfische handelt, der so dicht und gross ist, dass wir ihn mit einem Schiffsrumpf verwechselt haben. Als wir uns nähern, löst sich der Schwarm auf. Er explodiert wie ein in Panik geratener Ameisenhaufen. Ein Geigenrochen, der aussieht wie das Ergebnis einer widernatürlichen Liebschaft zwischen einem Rochen und einem Hai an einem feuchtfröhlichen Abend, beäugt uns argwöhnisch, bevor er sich mit kräftigen Flossenschlägen aus dem Staub macht. Grosse, erkaltete Dampfkessel beherbergen in ihren Rohren scheue Meerbarben und übergewichtige Süsslippen. Drei riesige Tintenfische, die wir beim Liebesspiel überrascht haben, schweben nahezu regungslos über den losen Metallteilen, die am Boden verstreut herumliegen. Ringsum haben die Algen auf jedem noch so kleinen festen Substrat wogende Kolonien gebildet. Bald schon wird sich dieser schöne Wald aber wieder auflösen, die golden schimmernden Vegetationskörper der Algen werden sich schlammbraun färben und sich unter der Einwirkung der Strömungen zersetzen. Im Februar, wenn die Wassertemperatur wieder steigt, geben die Algen schliesslich klein bei und räumen den Platz für die Korallen. Der Tangwald in Dhofar ist der weltweit einzige saisonabhängige seiner Art. Der Tang ist tot, es lebe der Tang! Wie aus dem Nichts wird er im August wieder zu neuem Leben erwachen.

REISE-INFOS

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[column size=“third“ last=“no“]Anreise 

Die nationale Fluggesellschaft Oman Air fliegt täglich von Paris nach Muskat. Der Direktflug dauert 7,5 Stunden. Ein Hin- und Rückflugticket ist ab 400 Euro zu haben. Anschliessend den Inlandflug mit Oman Air nach Salalah nehmen. Er dauert 1,5 Stunden und kostet 100 Euro (Hinflug). Internet: omanair.com

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[column size=“third“ last=“no“]Beste Reisezeit 

Reisen Sie auf keinen Fall im Sommer von Juni bis Anfang September nach Dhofar, ausser, Sie mögen sintflutartigen Regen. Zum Tauchen in den Tangwäldern eignet sich der Zeitraum von Ende September bis Dezember am besten. Danach verkümmert der Kelp, bis er im Februar ganz verschwindet.

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[column size=“third“ last=“yes“]Tauchen 

In der Region gibt es nur wenige Tauchclubs. Der älteste ist Extra Divers im Hotel Marriot Beach in Mirbat, 60 km östlich von Salalah. Abfahrt um 8.30 Uhr für zwei Tauchgänge vom Boot. Ausfahrt mit zwei Tauchgängen: 40 Rial (95 €). Pauschale für fünf Tage und zehn Tauchgänge: 178 Rial (430 €). In diesen Preisen sind der Transport, die Tauchflasche und die Gewichte inbegriffen. Im Oktober liegt die Wassertemperatur zwischen 18 und 21 °C. Ein Neoprenanzug mit Kapuze wird deshalb dringend empfohlen. Von Mai bis Juni beträgt die Temperatur zwischen 30 und 32 °C, dann gibt es allerdings keinen Kelp. Internet: extradivers.org, Handy: +968 99 89 54 57).

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