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Comeback des grossen Multihulls

von Quentin Mayerat

© Christophe Launay

Der 21 Meter lange Carbonriese gleitet im Rückwärtsgang zwischen den Stegen der Marina der Cité de la Voile in Lorient hindurch. Stève Ravussin steuert den werftneuen Koloss hochkonzentriert zwischen den Seitenmarkierungen der früheren U-Boot-Basis hindurch und erteilt seinem Teamkollegen am Motor Anweisungen: „Langsam zurück. Stopp! Vorwärts, etwas mehr Gas…“ Der Kanal ist kaum breiter als der Trimaran, aber das scheint den Segler nicht zu beunruhigen. Er bleibt cool, genau wie man ihn kennt. Das Team, bestehend aus Pascal Bidégorry, Jean-Marc Normand und Nicolas Pichelin, macht sich daran, das Grosssegel zu setzen. Der für die Segelgarderobe zuständige Jacques Guichard hat sich an einem Fall zwei Meter über das Deck gehisst und demontiert einen Teil der Schiene, um die Stagreiter des riesigen Gaffels einzupicken. Die Aufgabe ist ziemlich mühsam. Das Material wiegt Tonnen, man muss ziehen, stossen und sich am Fall hängend vorwärtsbewegen, um die Stagreiter einzuführen.

 

Alle an die Winschen!

Endlich ist alles soweit fertig und die Gäste des Tages werden zum Hissen des Segels an die Winschen gerufen. Der Druck ist zu gross, irgendetwas klemmt. Ein anderes System ist parallel gekoppelt. Jean-Marc wirft einen kurzen Blick darauf, korrigiert die Verbindungen, mit denen die Winschen und die Hydraulik gesteuert werden, und endlich steigt das Segel langsam empor. Erster Gang, zweiter Gang, dritter Gang: Das Tuch hängt jetzt fast 30 Meter über dem Meeresspiegel. Die Grinder sind völlig erschöpft und atmen tief durch, bevor schon das nächste Manöver auf sie wartet.

Da nur ein schwacher Wind weht, fährt das Boot unter Motor aus dem Hafenbecken aufs offene Meer. Vor der Ile de Groix wird die Genua gesetzt, danach geht’s am Wind Richtung Quiberon. „Möchtest du ans Steuer?“, fragt mich Stève, voller Stolz über sein neues Gefährt. Ich lasse mich nicht zweimal bitten und setze mich in den sich an die Schräglage anpassenden Schalensitz. Etwas mulmig ist mir schon zumute. „Wenn es sich hebt, dann musst du stossen“, weist mich der Skipper an. Er hat meine Angst gespürt. In normale Sprache übersetzt bedeutet seine Anweisung, dass ich nur anluven muss, wenn der Druck zu gross wird. Das Boot gleitet ruhig mit 14 Knoten in einem 60°-Winkel zum Wind vorwärts und beschleunigt durch Abfallen um 10 bis 15 ° problemlos auf 16 bis 18 Knoten. Über zwei Schlaffseilschalter vor dem Steuerstand werden die Hydraulik, das Grossschot und das Biegen des Mastes gesteuert. Auch die Winsch des Travellers ist ergonomisch unmittelbar davor platziert. Die Küste kommt immer näher. Es bleibt gerade noch Zeit genug, das Steuer für die Wende zu übergeben. Jedem sein Beruf!

© Yvan Zedda

 

Symbolische 30-Knoten-Schwelle

Der Wind frischt auf 18 Knoten auf. Stève nutzt die Gunst der Stunde, um dem Multi etwas einzuheizen. Er fällt ein paar Grad ab und fiert die Segel, während das Boot beschleunigt. Kurz darauf zeigt das Speedometer 26 Knoten an. Das Team nimmt noch einige kaum wahrnehmbare Feintrimms vor. Der Mittelrumpf befindet sich nicht mehr im Wasser und der Leerumpf bäumt sich unter der Wirkung des Foils auf. 28, 29, 30 Knoten. Stève schreit vor Freude: Er hat die symbolische Grenze zum ersten Mal überschritten. „30 Knoten entsprechen ungefähr der Durchschnittsgeschwindigkeit der Banque Populaire V und der Groupama 3 bei ihrer Atlantiküberquerung“, vergleicht er. Es war ein Gefühl, als würden wir ohne Helm Motocross fahren. Man muss sich festhalten und sich vorsichtig bewegen, damit man nicht hinfällt. Das Boot scheint gesund, auch wenn man sich kaum vorstellen kann, wie das Ganze bei der extremen Belastung zusammenhält.

 

Wenn zwei Seeleute sich unterhalten

© Yvan Zedda

Stève übergibt das Steuer an Bidégorry, der seit dem Ende der Zusammenarbeit mit Banque Populaire mit den MOD liebäugelt. Um das Boot besser kennen zu lernen, wird der baskische Skipper deshalb auch auf der Race for Water an der Fastnet teilnehmen. Hochkonzentriert beobachtet der schnellste Mann des Atlantiks jede noch so kleine Reaktion des Mehrrümpfers. Er diskutiert angeregt mit Ravussin über die verschiedenen Aspekte der Rumpfform, des Decksplans und der Segel. Leider dringen bei dem Wind und dem Tempo nur ein paar Gesprächsfetzen zu mir herüber. Bestimmt handelt es sich um Fachchinesisch.

Bei einem kurzen Abstecher ins Bootsinnere kann ich für ein paar Minuten nachempfinden, wie die Teams bei Hochseeregatten leben. Die Ausstattung ist rustikal und äussert karg. Überall stösst man auf Carbon. Farbe wurde offensichtlich für überflüssig gehalten, so dass die ganze Umgebung in dunkles Schwarz getaucht ist. Der Sitz des Kartentischs wurde nach dem gleichen Prinzip gebaut wie jener am Steuerstand, passt sich also perfekt der Körperhaltung an und ist somit neben den beiden über dem Motor liegenden Kojen eine der wenigen komfortablen Stellen im Boot.

 

Zurück an Deck sehe ich, dass Stève die Zügel wieder übernommen hat und plötzlich stark abfällt. Der Trimaran, dem der scheinbare Wind genommen wurde, unterbricht seine Fahrt. Das Land ist kaum noch auszumachen, so schnell waren wir unterwegs. Wir halsen und peilen den Südosten von Groix an. Zurück geht es etwas langsamer, trotzdem sind wir mit 20 Knoten unterwegs. Währenddessen hat das Team alles notiert, was geändert werden muss. „Es handelt sich um das Boot Nummer 1, es muss noch den letzten Schliff erhalten, damit wir die Änderungen auf den nächsten Einheiten übernehmen können“, erklärt der Skipper. Für ihn hat die strenge Einhaltung der One-Design-Bauvorschriften einen grossen Stellenwert.

Bidégorry, der zum zweiten Mal auf dem Boot segelt, äussert sich begeistert: „Das Konzept ist wirklich genial, hoffentlich sind es bald mehr Boote.“ Wir können ihm nur wünschen, dass er einen Partner findet oder sich einem der bereits engagierten Teams anschliessen kann.

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