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Hagin am Ruder

by Quentin Mayerat

© Brice Lechevalier

Der idyllische Hafen von Lutry, Geburtsort von Vincent Hagin, bietet die ideale Kulisse für ein Gespräch über den Segelsport. Auf dem Wasser erinnern einige Optimisten beim Training daran, dass der Nachwuchs fleissig an seiner Zukunft bastelt. Der neue Präsident des Schweizer Segelverbands Swiss Sailing unterhält sich mit den Passanten. Er ist hier zuhause und das spürt man. Trotz seines hohen Amtes trägt der blonde Riese weder Anzug noch Wappen. Er scheint sich in Jeans, Hemd und Blazer wohler zu fühlen.

„Siehst du den Strand dort drüben und die Terrasse oberhalb des zweiten Hauses ? Dort bin ich aufgewachsen“, erklärt er nicht ohne Stolz. Seine spätere Karriere wurde ihm offensichtlich vor 38 Jahren in die Wiege gelegt. Bevor er den Segelsport entdeckte, versuchte er sich allerdings als Leichtathlet und Skifahrer. „Ich bin mit meinen Eltern auf unserem Familienboot, einem Flying Forty gesegelt“, erzählt er und zeigt auf ein gegenüber der Terrasse vertäutes senfgelbes Boot. „Die ersten Jollenregatten habe ich aber erst mit 17 bestritten, das ist relativ spät.“

© Juerg Kaufmann

Für den radikalen Disziplinenwechsel gab es zwei Gründe. Zum einen schränkte eine Verletzung seine Leistung in der Leichtathletik ein, zum anderen las er 1988 nach den Olympischen Spielen in Seoul in der Zeitschrift Voiles et Voiliers einen Artikel über die Segelwettkämpfe. „Dort war ein Foto von Luc Pillot und Thierry Peponnet, die stolz ihre Medaillen zur Schau trugen, abgebildet. Sie erzählten von ihren Erlebnissen, den extremen Bedingungen und dem ganzen Rest. Das war für mich der Auslöser. An diesem Tag wusste ich, dass ich das auch machen wollte.“

„Ein Vertrag mit mir selbst“

Der neue Präsident des Schweizer Segelverbands führt auf Skippers.tv einen Blog und will die bestehende technologische Plattform (Apps für iPad & Iphone, Blogs, Live-Infos, Newsletter, Videos usw.) für Swiss Sailing nutzen. © Juerg Kaufmann

Vincent Hagin schloss eine Lehre als Hochbauzeichner ab und fing an, zusammen mit Adrian auf internationaler Ebene bei den 470ern zu segeln. Der plötzliche Tod seines Mentors und Steuermanns, „ein tragischer Moment“, veranlasste ihn zum Wechsel auf die Laser-Einhandjolle, die gerade den Olympiastatus erhalten hatte. Ende 1995, Anfang 1996 startete er in Australien seine Olympiakampagne für Sydney. Nach einem Unfall und drei Knieoperationen musste er seine Hoffnungen begraben. Finanziell hielt er sich mit einem Job bei der Securitas über Wasser, wo er die Zeitungskästen überwachte, wie er erzählt. Die restliche Zeit segelte er.

Bei seinem letzten Versuch, einen Startplatz für Olympia 2004 zu ergattern, musste er sich eingestehen, dass es nicht funktionieren würde.

„Ich begriff, dass solche Ziele unmöglich zu erreichen sind, wenn man daneben arbeiten muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ausserdem hatte ich mit mir selbst einen Vertrag abgeschlossen: Ich hatte mir geschworen, mit 30 Jahren eine neue Ausbildung zu beginnen. Die Zeit war gekommen, etwas anderes zu machen.“ Also drückte er in Magglingen die Schulbank. „Es war ein fantastisches Studium. Ich hatte wirklich den Eindruck, meinen Weg gefunden zu haben. Sein frisch erworbenes Sportlehrerdiplom öffnete ihm die Tore zu Swiss Olympic und zur Universität Besançon, wo er Neurologie studierte.

Ein ruhiger, besonnener Mensch

2006 und 2007 legte er für seine beiden Tätigkeiten über 50’000 Kilometer pro Jahr zurück. „Zwei verrückte Jahre“, in denen er eine Arbeit über das Leistungsmanagement im Bereich Hochseeseglerei schrieb und sich mit dem Judoka Sergei Aschwanden eine Wohnung teilte. „In dieser Zeit konnte ich eine Olympiavorbereitung stellvertretend miterleben. Sergei war in Athen gescheitert, rappelte sich aber wieder auf und legte in Peking eine brillante Leistung hin. Der Umgang mit ihm hat mir enorm viel gebracht.“ Der Olympiamedaillengewinner profitierte im Gegenzug von einem neutralen Blick, der bei seiner Vorbereitung entscheidend war. „Unsere Freundschaft reicht aber über das hinaus, was wir uns in diesen Jahren gegenseitig gegeben haben“, sagt Aschwanden. „Vincent ist ein ruhiger, besonnener Mensch. Das hat ihn im Hinblick auf seine sportliche Karriere vielleicht behindert, bei seinen neuen Funktionen wird es aber von Vorteil sein.“

Vincent Hagin wurde 2008 Vizepräsident von Swiss-Sailing. „Es ist wichtig, nach einer Strategie zu handeln. Ich habe dieses Amt akzeptiert, weil ich Präsident werden und eine Karriere im Sportmanagement machen wollte.“ Der zweisprachige Romand ist damit der jüngste Präsident eines olympischen Verbands.

Er hat genaue Vorstellungen, wie die Zukunft des Schweizer Segelsports aussehen soll. Er ist kein Phrasendrescher und schreckt nicht davor zurück, Klartext zur reden. Ohne finanzielle Mittel, meistens die der Eltern, sei eine Karriere unmöglich, so Hagin. Das gelte aber nicht nur fürs Segeln, sondern auch für viele andere Sportarten wie zum Beispiel fürs Skifahren. Die Schweizer Medaillenchancen in London sieht er realistisch: „Flavio Marazzi mit Vorschoter Enrico De Maria, Nathalie Brugger und der Windsurfer Richard Stauffacher sind die einzigen, die das Potenzial dazu haben.“

© Juerg Kaufmann

Zuversichtlicher Blick in die Zukunft

Der neue Präsident gehört zu den Verfechtern eines echten Bildungswegs für Spitzensportler und will rasch ein Sport/Studienzentrum einrichten, in dem sich die Athleten schon mit 15 Jahren für eine Sportlerkarriere entscheiden können. In seiner Zukunftsvision hat auch der Breitensport seinen Platz, schliesslich ist eine Mehrheit des Verbands davon betroffen. „Ich bin der Überzeugung, dass Boat Sharing eine gute Lösung ist, um den Segelsport in den verschiedenen Regionen zu fördern. Es muss aber vor allem in der Romandie noch ein Mentalitätswechsel stattfinden.“

Vincent Hagin sieht zuversichtlich in die Zukunft und fühlt sich im Verband wohl. „Ich habe eineinhalb Jahre gebraucht, bis ich die Funktionsweise von Swiss Sailing begriffen hatte, aber jetzt ist alles in Butter. Die Geldfrage ist für die Elite weiter zentral. Ich weiss aber, dass es Lösungen gibt, um von Swiss Olympic das nötige Geld zu erhalten. Es braucht dazu nur gut geschnürte Projekte.“ Hinter seinen Worten spürt man, dass er etwas von Finanzfragen versteht. Das macht ein Jahr vor den Olympischen Spielen natürlich Mut.

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