„100 Jahre – 100 Schiffe; das ist die Vision“, erklärt Daniel Christen, OK-Mitglied der Starboot-Schweizermeisterschaft, die vom 16. bis 24. Juli auf dem Thunersee über die Bühne geht. Die Meisterschaft soll ein ganz besonderer Anlass werden, denn das Starboot feiert dieses Jahr einen runden und für eine aktuelle Olympiaklasse fast schon unverschämt hohen Geburtstag. 100 Jahre ist es her, seit die Amerikaner William Gardner und Francis Sweisguth die Klasse mit grossem Erfolg lancierten. Seit 1932 war das Kielboot an praktisch allen olympischen Sommerspielen präsent. Über 8500 Einheiten wurden bisher gebaut und noch immer gehört die Klasse zu jenen, die weltweit die grössten Felder an die Startlinien bringen.
Tradition und Prestige verpflichten
Trotzdem sind 100 Schiffe für Schweizer Verhältnisse ein sehr gewagtes Ziel. Insbesondere wenn man bedenkt, dass an der Schweizermeisterschaft 2010 in Ascona mit 41 Booten ein zwar grosses, von einer solchen Zahl aber doch weit entferntes Feld zusammengekommen war. Daniel Christen, selbst aktiver Starsegler, relativiert denn auch: „Die 100 Schiffe sind wie gesagt eine Vision, wenn um die 80 Crews teilnähmen, dann wären wir schon sehr zufrieden. Bei 100 Booten wäre der See ohnehin zu schmal, um eine entsprechende Startlinie auszulegen.“ Damit die Startlinie aber so lange wie möglich wird, wurde in der Schweizer und in den Starflotten des benachbarten Süddeutschland und Norditalien bereits die Werbetrommel gerührt. Ausserdem legten die Verantwortlichen die „Rostige Kanne“, die traditionelle Star-Regatta des Thunersee YC, auf das Wochenende vor der SM, damit in einer Woche zwei Regatten gesegelt werden können, was zusätzliche Teilnehmer motivieren soll. Immerhin geht es bei der Realisierung der gross angekündigten „Vision“ ein Stück weit auch um die Ehre der Klasse. Und die liegt den Starseglern seit jeher am Herzen. Von Kritikern etwa, die den Star wegen übertriebener Grosssegelfläche, seltsamer Backstagen und fehlendem Spinnaker seit Jahrzehnten als veraltet kritisieren, halten sie gar nichts. Betont unbeeindruckt verweisen sie bei solchen Angriffen auf die unzähligen Trimmmöglichkeiten, die Agilität des Bootes, das hohe Niveau der Klasse und die stattliche Anzahl Segelikonen, die sich im Umfeld des Starboots bewegen. Doch solche Ikonen, die Tradition und das damit verbundene Prestige verpflichten. Dessen sind sich auch die Organisatoren der Schweizermeisterschaft 2011 bewusst. Sie sind deshalb bemüht, einen ganz besonderen Event auf die Beine zu stellen. „Wir wollen den anreisenden Crews, dem Publikum und auch ehemaligen Starseglern etwas bieten“, sagt Daniel Christen diesbezüglich und führt aus: „Wir werden für die Regatta die Infrastruktur des TYC erweitern, Zuschauerschiffe bereitstellen und am allabendlichen Steh-Apéro Preise für die Tagessieger und die Pechvögel vergeben. Vor allem aber wollen wir uns der Bevölkerung öffnen und das Segeln zu den Leuten bringen. Die offizielle Eröffnungsfeier wird deshalb am Mittwochabend in der Innenstadt von Thun stattfinden, musikalisch umrahmt werden und offen sein fürs breite Publikum. Am Freitag steht dann der exklusive Jubiläums-Galaabend auf dem Programm. Hier erwarten wir 300 bis 500 Gäste: Segler, Angehörige, Ehemalige, Gönner und Sponsoren.“
Marazzi/de Maria mit dabei
Dem Anlass zusätzliche Attraktivität verleihen wird Flavio Marazzi, Aushängeschild der Schweizer Starsegler, dreifacher Olympiateilnehmer, aktueller Vize-Weltmeister und Medaillenanwärter an den olympischen Spielen in London. Er hat die Teilnahme an der Meisterschaft zusammen mit Vorschoter Enrico de Maria definitiv zugesagt und erklärt: „Wenn es terminlich gepasst hat, sind wir an den Schweizermeisterschaften eigentlich immer gestartet und jetzt wo die SM in meinem Heimclub stattfindet und das Jubiläum gefeiert wird, sind wir natürlich besonders gerne dabei. Das wird sicher ein super Event, der der Randsportart Segeln in der Region gut tun wird.“
Ziele haben Marazzi/de Maria 2011 neben dem Schweizermeistertitel aber noch ganz andere: „Wir wollen dieses Jahr nach den intensiven Trainings wieder mehr Regatten bestreiten. Besonders wichtig dabei sind für uns die Pre-Olympics in Weymouth im August und die WM in Perth im Dezember. Wenn wir dort unter die ersten zehn segeln, sind wir für Olympia direkt qualifiziert und können uns ohne Stress darauf vorbereiten. Ziel ist schliesslich der Gewinn einer Medaille in London.“
Wackelnder Olympiastatus
Wie seine seglerische Zukunft nach Olympia aussehen wird, kann Flavio Marazzi derzeit noch nicht sagen. Verständlich, denn dem Starboot droht ausgerechnet zum Jubiläum segelpolitisches Ungemach: An einem Kongress der ISAF im November in Athen wurde beschlossen, das Kielboot dem IOC für die Spiele 2016 in Rio nicht mehr als Olympiaklasse vorzuschlagen. Der Entscheid ist zwar noch nicht definitiv, gilt aber als kaum noch umkehrbar, zumal die ISAF die Absicht hegt, das olympische Segeln jünger, spektakulärer und publikumsfreundlicher zu machen, um den olympischen Status der Sportart längerfristig zu sichern. Für Marazzi hingegen ist der Entscheid verständlicherweise nur schwer nachvollziehbar. Den Konsequenzen wird aber auch er sich nicht entziehen können. So meint er: „Ich werde dann wohl nur noch auf nicht-olympischen Kielbooten segeln und sicherlich nicht mehr so intensiv wie jetzt.“ Die Klasse der Starboote als solche sieht er aber nicht in Gefahr: „Die Top-Segler werden vermutlich auf andere olympische Klassen umsteigen und das Niveau wird sinken, aber die regionalen und nationalen Flotten werden darunter kaum leiden, die funktionieren schon heute olympiaunabhängig.“ Ähnlich sieht das auch Daniel Christen. Er sagt: „Ich kenne niemanden, der auf nationaler Ebene Star segelt, weil die Klasse olympisch ist. Das ist doch eigentlich egal. Ich hoffe aber, dass die Klassenregeln nicht gelockert werden und kein teures Wettrüsten beginnt, sondern dass die Entwicklung aufgrund der fehlenden Top-Teams stagniert und die Preise für das Material sinken.“ So oder so wird ein allfälliges Olympia-Aus das Starboot wohl noch lange nicht von unseren Gewässern verdrängen. Immerhin fiel die Klasse 1976 schon einmal einem politischen Entscheid zum Opfer und wurde für die Olympiade in Kanada durch die Tempest ersetzt. Die renommierte deutsche Yacht stellte aber schon kurz darauf fest: „Der Verlust des Olympiastatus hat keineswegs geschadet.“