Text et fotos | Emmanuel van Deth
Skippers hatte am Salon du Multicoque in La Grande Motte die Gelegenheit, auf der ehemaligen Orange 2 mitzusegeln. Sie wurde mittlerweile zu einem Fahrtenkatamaran umgebaut und noch schneller gemacht. Bericht über einen Adrenalinkick der besonderen Art.
Dieses Jahr ist den Organisatoren des internationalen Multihull-Treffens ein ganz grosser Coup gelungen: Sie haben es geschafft, einen der grössten Katamarane der Welt aufzubieten. Allein schon die Suche nach einem Bootsplatz für die Vitalia 2 erwies sich als Herausforderung, war aber von Erfolg gekrönt. Jetzt sieht man in dem Mittelmeerhafen nur ihn: 50 Meter ragt der 40-Meter-Riese bzw. sein Mast über die Stege. Die Männer auf den Rümpfen und dem riesigen Trampolin sehen aus wie Playmobil-Figuren und genau so klein fühlt man sich auch, wenn man an Bord geht. Auf einem solch überdimensionierten Katamaran wird plötzlich alles relativ. Ganze drei Schlauchboote helfen bei der Hafenausfahrt. Es hätten getrost noch mehr sein können. Als wir das offene Meer erreichen, wird bei Gegenwind das imposante Grosssegel gehisst. Die Bedingungen sind hervorragend: 12 bis 17 Knoten Ostwind und kaum Wellen. Wir stellen die Motoren ab und rollen die Fock aus. Mit ihren scharfen Rümpfen schneidet die Vitalia 2 mit über 15 Knoten durchs Wasser und erreicht mit spielender Leichtigkeit Spitzen von bis zu 24 Knoten.
Neben den fünf Crewmitgliedern ist auch eine Handvoll Journalisten an Bord. Wir dürfen sogar ans Steuer. Einige meiner Kollegen lehnen höflich ab, ich aber schlage zu! Fest im Luv- Steuerstand installiert, versuche ich die 20 Knoten zu halten. Eine berauschende Erfahrung! Ich vergesse beinahe, dass ich gerade ein 37 Meter langes und 17 Meter breites Boot steuere. Beim Setzen des Gennakers wird uns bewusst, wie viel Kraft ein solches Monster den Seglern abverlangt. Wie Hampelmänner springen die Segler auf den Riesentrampolinen umher und versuchen, der unendlich langen Wurst aus Verbundstoff, die ihnen entgegenschlägt, Herr zu werden. Unter dem Vorwindsegel legt der Katamaran weiter an Speed zu. In einer knappen Stunde haben wir uns bereits 20 Seemeilen von den Häuserblöcken von La Grande Motte entfernt.
Rekordjägerin
Vitalia 2 ist das Ergebnis eines umfassenden Refits. Bei der Rennmaschine handelt es sich um die ehemalige Orange 2. Sie erinnern sich sicher: Der von Bruno Peyron gesteuerte Racer hatte in der Mitte der Jahre 2000 immer wieder für Schlagzeilen gesorgt, erstmals im September 2004, als er mit 17 Stunden, 56 Minuten, 13 Sekunden und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25,53 Knoten einen neuen Mittelmeerrekord aufstellte. Im Jahr darauf schnappte er sich die Jules Verne Trophy in einer Zeit von 50 Tagen, 16 Stunden und 20 Minuten und blieb fünf Jahre Rekordhalter. Im Juli 2006 pulverisierte er den 24-Stunden- Rekord. Er legte 766,8 Seemeilen mit durchschnittlich 31,95 Knoten zurück. Trotz seines unglaublichen Potenzials ging der Bolide im Jahr 2009 in die Werft Multiplast in Vannes zurück, die ihn auch gebaut hatte. Wie viele grosse Rekord- und Hochsee-Rennkatamarane wurde er relativ schnell aufs Abstellgleis geschoben und von Trimaranen verdrängt. 2014 wurde das Boot von François Bich, dem Sohn des berühmten Baron Bich, erworben. Hinter dem gewieften Geschäftsmann steckt ein passionierter Segler. Er hatte seine ersten Schläge 1956 auf dem von André Mauric entworfenen Familienboot Lak gemacht, bevor er das Jollensegeln auf Ponant und 505 entdeckte. Ab 1965 segelte er im Sommer auf der 12mJI Sovereign, auch sie im Familienbesitz der Bich. In den Jahren danach trainierte François für den America’s Cup, an dem er 1970 und 1974 teilnahm. Er hatte zudem das grosse Glück, zweihand mit Eric Tabarly und ohne Autopilot die Pen Duick III von Tahiti nach Nouméa zu überführen. Ausserdem betätigte er sich als Vercharterer eines Dreimasters, segelte Formel 40 und andere Mehrrümpfer – vom Hobie Cat 14 bis zum 24-Meter-Katamaran Magic Cat – und begeisterte sich für alles, was unter Segeln schnell war. Kein Wunder, interessierte er sich für die Orange 2, die er im Februar 2014 schliesslich kaufte.
Einmal rund um die Welt
François Bich wollte den früheren Rekordjäger in einen schnellen und luxuriösen Fahrtenkatamaran umbauen. Keine einfache Aufgabe, denn dazu waren grössere Änderungen nötig. Zum einen musste ein schwerer und optisch nicht zu aufdringlicher Aufbau hinzugefügt werden, zum anderen sollte das Boot schnell bleiben und Spitzen von 30 Knoten erreichen (bei der Orange 2 waren es 40). Technisch herausfordernd war der Umgang mit der änderungsbedingten Gewichtszunahme. Yann Performis, der als Geschäftsführer von Multiplast am Projekt der Orange 2 beteiligt war, fasst die Herausforderung wie folgt zusammen: „Unsere Aufgabe bestand darin, einen Lebensraum mit einem grossen Innensalon, einer Küche mit Bar, einer Eignerkabine, einem Decksalon sowie allen Annehmlichkeiten, die man von einem Fahrtenkatamaran dieser Grösse erwartet, einzubauen, ohne ihn allzu schwer zu machen.“
„Es sollte ein aussergewöhnliches Boot und der schnellste Cruiser der Welt werden“, erklärt Jack Michal, einer der drei Architekten der Orange 2, das Ziel des Umbauprojekts. Nach einjährigen Arbeiten verfügt die Vitalia 2 jetzt über einen sechs Meter langen zentralen Aufbau und sechs komfortable Kabinen, ist dafür aber 20 Tonnen schwerer als die Racerversion mit ihren bereits stattlichen 30 Tonnen. Die beiden Spitzbögen, die den Niedergang zu den Rümpfen schützen und zu den augenscheinlichsten optischen Merkmalen der Orange 2 gehörten, wurden beibehalten. Auch das Rigg ist unverändert geblieben. „Einbeinig“ zu fahren ist allerdings nicht mehr möglich. Damit der Katamaran nicht überbeansprucht wird, wurde eine ganze Reihe Belastungssensoren eingebaut. Die Originalwinschen wurden elektrisch aufgerüstet. Dass die Vitalia 2 als Fahrtenboot genutzt wird, zeigen auch die Leitrolle, der fest eingezogene Anker und der Ankerspill am Bug. Im Heck fallen die Davits für das Beiboot und ein Sitz fürs Hochseeangeln auf.
Nächstes Jahr will François Bich mit der Vitalia 2 um die Welt segeln und dabei während des America’s Cups auf den Bermudas Halt machen. Die Route steht bereits fest. Sie hängt effektvoll beleuchtet an einer Seitenwand der Pantry.