Segelbarken mit ihren riesigen Lateinersegeln haben die Schifffahrt auf dem Genfersee und darüber hinaus viele hundert Jahre geprägt. Die Chancen, dass die dreieckigen Tücher ins immaterielle Weltkulturerbe aufgenommen werden, stehen gut.
Text: Grégoire Sudez
Lateinersegel sind mehr als nur eine althergebrachte Methode, den Wind einzufangen. Sie sind ein Stück universelles Erbe, das die Geschichte der Seefahrt nachhaltig beeinflusst hat. Man könnte sie als Mutter aller Segel bezeichnen, die heute noch auf den Seen und Meeren der Welt anzutreffen sind. Ursprünglich stammt das dreieckige Tuch aus dem Orient, breitete sich bis in den Mittelmeerraum aus und erreichte bereits im 12. Jahrhundert den Genfersee. Zunächst wurde es für militärische Zwecke eingesetzt, ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden dann alle Boote damit betucht. Bis in die Belle Époque regierte es als alleiniger Herrscher über den Genfersee.
Von Asien bis in die Schweiz, Lateinersegel gehören fest zur Kulisse zahlreicher Gewässer. Mehrere Länder haben sich zusammengetan, um bei der UNESCO ihre Aufnahme ins immaterielle Kulturerbe zu beantragen. In der Schweiz sind es vor allem die lokalen Vereine, die sich für die Erhaltung und Wiederbelebung der berühmten Genferseebarken stark machen, die das Gesuch unterstützen und sich dafür einsetzen, dass die Boote mit diesen besonderen Segeln von den höchsten internationalen Kulturinstanzen anerkannt werden.
Schritt für Schritt
Das Verfahren sei langatmig, sagt Christian Reymond, Ehrenpräsident des Vereins «La Barque des Enfants», dem der Nachbau der traditionellen Barque La Demoiselle gehört. «2022 erfuhren wir von Freunden, dass Südfranzosen ein Dossier vorbereiteten, um bei der UNESCO einen Antrag für die Aufnahme der «Kunst des Segelns unter Lateinersegeln» ins immaterielle Kulturerbe zu stellen. Die Initianten haben uns gefragt, ob wir uns ihnen anschliessen möchten. Begeistert von der Idee machte ich mich mit drei Freunden auf den Weg. Es musste schnell gehen, da das Aufnahmeverfahren genau geregelt ist.»
Die erste Hürde war die lokale Anerkennung. Die liess aber nicht lange auf sich warten. «Wir haben unser Dossier im Eiltempo zusammengestellt und im Februar 2022 bei den Behörden des Kantons Waadt eingereicht», erzählt der Autor der 2017 erschienen Segelbibel Voiles latines du Léman. «Bereits im April erfuhren wir, dass die Kunst des Segelns unter Lateinersegeln ins Inventar des immateriellen Kulturguts des Kantons Waadt aufgenommen wurde. Wir haben uns riesig gefreut. Dieser Erfolg bestärkte uns in unserem Wunsch, das Verfahren weiterzuverfolgen. Er entschädigte uns für unseren Aufwand.»
Doch trotz des starken Willens, das Projekt durchzuziehen, ist der Weg bis zur UNESCO noch lang. Im Sommer 2022 meldeten sich Christian Reymond und seine Freunde für den jährlichen Wettbewerb des «Conseil du Léman» an. Dieser unterstützt die unterschiedlichsten Projekte, sofern sie einen direkten Bezug zum Leben auf und am Genfersee haben. Finanziell gingen die Lateinersegel leer aus. Preisgeld gab es keines. An der Preisverleihung im Herbst zeichnete die Jury das Projekt aber mit einem Sonderpreis aus, das nicht nur den Verantwortlichen neuen Mut gab, sondern auch in den Medien Beachtung fand.
Schlussspurt
Seit diesem Winter liegt das Dossier der Lateinersegel in den Händen des Bundes, der sein Urteil voraussichtlich diesen Frühling fällt. Sollte es positiv ausfallen, wäre ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung getan. Ab dann wird es ernst. «Die UNESCO hat empfohlen, die Gesuche zu einem einzigen Antrag zusammenzufassen, denn offenbar hatten andere Länder die gleiche Idee wie wir. Spanien, Italien und Kroatien wollen die Lateinersegel ebenfalls eintragen lassen. Sie und nicht wir sollten das Projekt bei der UNESCO vorantreiben, denn sie haben weniger hängige Anträge als wir.»
Vielleicht kann dem Glück so etwas nachgeholfen werden, damit der Antrag möglichst schnell gutgeheissen wird. «Wir glauben natürlich daran, auch wenn es schwierig ist abzuschätzen, wie lange es dauern wird», räumt Christian Reymond ein. Aber wer weiss, «vielleicht haben wir schon dieses Jahr Erfolg». Für die vielen hundert Enthusiasten, die alles geben, um die schwimmenden Denkmäler zu erhalten, wäre die Aufnahme ins Weltkulturerbe von unschätzbarem Wert.» Heute sind sechs Vereine – zwei aus dem Kanton Waadt, einer aus Genf, einer aus dem Wallis und zwei aus Frankreich – an den Ufern des Genfersees aktiv. Sie zählen insgesamt mehr als 1500 Mitglieder sowie 290 Aktive auf Booten.
In der Schweiz haben die Lateinersegel die Herzen der Bootsliebhaber längst erobert und sich dank der berühmten Genferseebarken im kollektiven Gedächtnis festgesetzt. Laut Christian Reymond verkörpern sie sogar eine Philosophie. «Sie zelebrieren eine andere Art des Segelns, die wir versuchen zu erhalten und künftigen Generationen zu vermitteln. Dazu organisieren wir jedes Jahr Camps auf unserer Demoiselle, die stets grossen Anklang finden. Die Freude der Kinder und ihre Begeisterung sind unsere schönste Belohnung. Auf diesen weltweit grössten Booten mit Lateinersegeln zu kreuzen ist beeindruckend, denn sie strahlen eine unglaubliche Kraft und Trägheit aus. 8 Knoten Fahrtgeschwindigkeit grenzen schon fast an ein Wunder.»
Mit ihren Lateinersegeln, ihren Spieren und ihren ausgewogenen Formen gehören die Barken fest zum Bild, das man sich vom Genfersee macht. «Hodler hat sie verewigt. Heute kann man sich eine Landschaft am Genfersee ohne diese Boote nicht mehr vorstellen», befindet der Ehrenpräsident. Die Aufnahme ins immaterielle Weltkulturerbe würde den seit einem Jahrhundert geführten Kampf um die Erhaltung der schützenswerten Denkmäler stärken, damit die Lateinersegel noch lange über dem Genfersee flattern.